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ORTSGESCHEHEN

Die Gemeinde bewirtschaftet

Die Einordnung der Ägide von Bürgermeister Josef Riemensberger als "18 Jahre Stillstand" durch die Unterstützergruppen von Sebastian Thaler war der große Aufreger im ansonsten kreuzlahmen Bürgermeisterwahlkampf. Riemensbergers CSU beklagte fortan unangebrachte Emotionalität und Unfairness.
An der himmelweit unterschiedlichen Wahrnehmung dieser "18 Jahre Stillstand" entlang lässt sich aber die Amtszeit von Josef Riemensberger nun gut erzählen.
 
In Riemensbergers Ägide wurde die Grundschule an der Nelkenstraße neu gebaut, der Kindergarten "Sonnenschein" an der Nelkenstraße, die Kindertagesstätte "Wunderland" an der Hauptstraße im alten Schulhaus, das Kinderhaus in Dietersheim und die Seniorenwohnanlage an der Heidestraße.
Das Feuerwehrhaus wurde modernisiert und erweitert, die Volksschule und der Kindergarten "Sternschnuppe" an der Heidestraße generalsaniert, das Jugendzentrum renoviert, das Bürgerhaus saniert und modernisiert, im Rathaus ein Bürgerbüro eingerichtet und baulich umgesetzt.
Investitionen von rund 100 Millionen Euro hat sein Nachfolgekandidat im Wahlkampf, Thomas Kellerbauer (CSU), stets unwidersprochen subsummiert. Damit wurde ein beträchtlicher Teil öffentlicher Liegenschaften in Eching so zukunftsfähig aufgestellt, dass auch sein sehr junger Nachfolger, wenn er sehr lange im Amt bleiben sollte, nichts davon mehr in die Hand nehmen muss.
Dazu musste der Bürgermeister Riemensberger über Jahre seiner Amtszeit difizile Prozesse mit Streitsummen ausfechten, deren Höhe die Gemeindekasse massiv ins Wanken hätte bringen können: die Baumängelstreitigkeiten um ASZ und Musikschule, die Klagen um die Enteignungen für den Autobahnzubringer Eching-Ost, die rechtssichere Aufstellung des Bauleitplans für das komplette Gewerbegebiet Ost oder auch der Musterprozess um die Sonntagsöffnung der Einkaufsmärkte zu Märkten im Ortskern.
Auch wenn deswegen keine Straßen nach einem benannt werden: Mit der Verantwortung für diese Summen muss man erst mal umgehen, den Aufwand für die Arbeiten erstmal stemmen und in diese hochspeziellen Materien sich erstmal einarbeiten. Parallel dazu dann noch das Tagesgeschäft, eine Bebauungsplanänderung hier, eine Straßenteerung da, eine wegbrechende Gewerbesteuermillion dort - und dann von "18 Jahren Stillstand" zu hören, mag einen durchaus an der Welt verzweifeln lassen.
 
Vertretbar ist diese Einschätzung allerdings unter einem anderen Blickwinkel - aber zu dem hat Josef Riemensberger eben in 18 Jahren nie einen Zugang gefunden. Denn alles, aber auch alles, was unter den Aktiva seiner Amtszeit steht, war Sachzwängen geschuldet.
Die Schülerzahlen und die Nachfrage nach Betreuungsplätzen erzwangen die Neubauten, Brandschutzvorschriften oder andere modernisierte Richtlinien erzwangen die Gebäudesanierungen, Klagen erzwangen die Prozesse. Es wäre einfach kein Impuls erinnerlich, den der Bürgermeister Riemensberger hinterlassen hätte, nichts, womit er dem Gemeinwesen irgendein Ziel, eine Inspiration oder ein Gefühl vermittelt hätte.
Es ist kein Zufall, dass die CSU in ihrer Reaktion auf die Stillstands-Attacke deren vermeintliche "Emotionalität" als höchste Form der Beleidigung verstanden hatte. Emotion in der Ortspolitik geht gar nicht.
Riemensberger hat die Finanzmittel bewirtschaftet und den Bestand gepflegt, diese Worte hat er in den 18 Jahren gefühlt am häufigsten ausgesprochen. Er hat eine maßvolle und solide Gemeindepolitik propagiert. Er hat 18 Jahre ausschließlich reagiert. Und er wird diese Sätze definitiv als Lob verstehen, denn zu ihrer Kehrseite, dem fehlenden Esprit und der mangelnden Kreativität, hat er keinen Bezug.
Ein Überdruss an 18 Jahren Riemensberger, für den in der Wahl teilweise Thomas Kellerbauer abgestraft wurde, entstand auch durch einen wachsenden Hunger in Eching nach geistiger Führung oder emotionalen Momenten.
Das Wegducken des Bürgermeisters bei der Unterbringung der Flüchtlinge vor Jahresfrist haben sehr viele nur noch beschämend empfunden. Einer Jahrhundertherausforderung ausschließlich mit Verhandlungen um Erschließungskosten und Stellplatzschlüssel zu begegnen und beim Neujahrsempfang pflichtschuldig dem Helferkreis zu danken, ist einfach zu wenig.
 
Was war der Bürgermeister Riemensberger bei seinem Amtsantritt für ein belebendes Moment gewesen! Die Debattierlust spitzte ihm förmlich aus den Augen, einem politischen Streitgespräch ging er weder im Gemeinderat aus dem Weg noch bei der Bürgerversammlung noch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an der Straßenecke. Immer wieder brachte er Andersdenkende oder Kritiker mit unbeirrbarer Lust an der Argumentation dazu, platte Forderungen oder banale Kritik sachlich zu Ende zu denken, und warb so für seine Überlegungen.
In den ersten Jahren seiner Amtszeit gab es so kaum ein Projekt, bei dem er die Leute oder zumindest den Gemeinderat nicht mitnehmen hätte können, stets herrschte überzeugter Konsens, Bürgermeister, Gemeindeverwaltung und Gemeinderat standen als geschlossene Einheit.
Ideologisch völlig schmerzfrei, stellte er sich vor ein Kunstsymposium auf dem Bürgerplatz, mit dem er gefühlt wohl überhaupt nichts anfangen konnte, ebenso tausendprozentig als Repräsentant wie zum Anzapfen beim Starkbierfest, zu dem er zweifellos mehr ideologischen Bezug hatte. Überhaupt liebte er es handgestrickt. Er führte den Neujahrsempfang ein, bei dem sich im Neujahrskonzert Echinger Musikvereine und die Echinger Musikschule präsentieren konnten, er kreierte als Volksfest-Nachfolger den "Urlaub dahoam", ein Bürgerfest mit ausschließlich örtlichen Vereinen.
Was an "roten" Errungenschaften Echings stets in heftiger parteipolitischer Kritik gestanden war - auch und gerade durch ihn als Gemeinderat von 1990 bis 1998 -, das sah er als Bürgermeister nicht mehr durch Partei- oder Ideologiebrillen, sondern pragmatisch als Liegenschaft oder Service der Gemeinde, wofür er als Amtschef zu sorgen hatte.
Permanent wiederholte er in Debatten um alte Bausünden oder Zankäpfel der Vergangenheit seine Leitlinie, dass auch unverständliche Entscheidungen vorangegangener Gemeinderäte zunächst mal Entscheidungen seien, die ein heutiger Gemeinderat zu akzeptieren habe, und dass es keine zukunftsfähige Strategie sei, Modeausschläge früherer Zeiten durch Modeausschläge von heute zu ersetzen - bodenständige Ansichten eines Landwirts, die in einer aufgeregten Modernisierungslandschaft weitere Verbreitung verdient hätten.
Im Wahlkampf um seine Nachfolge ist Riemensberger um die Ohren gehauen worden, dass unter seiner Ägide die Quantität des Gewerbes am Ort und in direkter Konsequenz das Gewerebesteueraufkommen auf dem hohen Niveau stagniert hätte, das er beim Amtsantritt vorgefunden hatte, während ringsum die Gewerbansiedlungen und damit der Reibach für die Kämmereien explosionsartig gestiegen sei.
So richtig dieses Zahlenmaterial ist, so sind wahr doch auch die Konsequenzen dieses Wachstumsschubs: Flächenfraß, Mietpreisexplosion, Raubbau an Zukunftspotenzialen - und jeder Euro zusätzlicher Gewerbesteuer der Nachbarn ist mit Anstieg der Verkehrsbelastung in 50 Kilometer Radius erkauft. Riemensberger hier für Untätigkeit zu geißeln oder für nachhaltige Bodenständigkeit und weise Bescheidenheit zu preisen, ist reine Ansichtssache.
 
Irgendwann in den 18 Jahren ist freilich die Aufgeschlossenheit auf der Strecke geblieben. Vielleicht der unvermeidliche Verschleiss in so überlanger Dienstzeit, vielleicht Nachwirkungen des persönlichen Debakels bei der Landratswahl 2008, wo er es als CSU-Bewerber und damit geborener Favorit nicht mal in die Stichwahl geschafft hatte, oder vielleicht eine persönliche Verletzung aus dem Streit um die Therme am Hollerner See - pikanterweise die einzige Art von Impuls, die er in 18 Jahren zu setzen versucht hatte, - in den letzten Amtsjahren jedenfalls entwickelte sich Riemensbergers Rathaus zu einer Art Wagenburg mit nur noch einem sehr engen Zirkel an Vertrauten auch in Gemeinderat und Partei.
Der einst so debattierfreudige Vollblutpolitiker brauchte nun Druck aus drei Ratsdebatten und eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit, um Besuchern bei Gemeinderatssitzungen auch nur Informationsblätter zur Tagesordnung kopieren zu lassen.
Einst jeder Technologie aufgeschlossen - mit einem selbstgedrehten Video schon zum Wahlkampf 1998 beispielsweise seiner Zeit weit voraus - verantwortete er nun einen Webauftritt der Gemeinde, der in punkto Öffentlichkeitsfreundlichkeit von jedem Dorf auf dem flachen Land abgehängt wird.
Auf der Strecke blieb so auch die einstige Geschlossenheit und Konsensfixierung im Gemeinderat, das Pendel schlug spätestens mit der Kommunalwahl 2014 ins andere Extrem aus: Konflikte bis hin zur Obstruktion, fehlendes Grundvertrauen in Verwaltungshandeln und die teilweise Verweigerung, gegebene oder geschaffene Realitäten anzuerkennen, machten Echinger Ortspolitik zum Ende der Ära Riemensberger oft zur Qual.
Früher unempflindlich bis zur Beliebigkeit, reagierte er nun darauf meist dünnhäutig und mit brüsker Machtpolitik: Informationen steuern, Mehrheiten durchdrücken. Ob die Selbstisolierung der letzten Jahre nun eher die Konsequenz dieser oft unergiebigen Konflikte war oder mehr ihre Ursache, kann nun wiederum jeder nach seinem politischen Standort beurteilen.
 
Zwei Standards hat dieser Bürgermeister gesetzt, für die ihm der Gemeindetag Leistungsmedaillen verleihen müsste. So viel wie kaum ein Bürgermeister weithin hat Riemensberger die örtlichen Vereine besucht - auch jenseits von Wahlterminen. Bei Jubiläen, Weihnachtsfeiern, Veranstaltungen, aber auch bei banalen Jahreshauptversammlungen war der Bürgermeister bei Vereinen jeglicher Größe und Zielsetzung 18 Jahre lang permanent präsent und zeigte so, mehr als es jede Sonntagsrede vermag, seine Wertschätzung für diese Institutionen.
Und schier unfassbar und ganz sicher einzigartig war Riemensberger über die Vorgänge im Rathaus und die Geschehnisse am Ort präpariert. In den wohl 600 Rats- und Ausschusssitzungen seiner Amtszeit wäre keine noch so abseitige Nachfrage erinnerlich, bei der er blank gewesen wäre. Josef Riemensberger nachts um 3 Uhr aus dem Schlaf wecken und ihn nach dem aktuellen Ausgabenstand auf der Haushaltsstelle für den Straßenunterhalt fragen oder die Pläne des Bauhofs für den Baumschnitt im Herbst: die - korrekten - Antworten wären gekommen, noch bevor er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hätte. Er hat 18 Jahre lang Gemeinde gelebt.
 
So blendend wie Eching im Herbst 2016 dasteht, kann ein Urteil über den Mann, der bis Mittwoch 18 Jahre hier Bürgermeister war, in der Summe gar nicht negativ ausfallen. Das Anforderungsprofil an einen bayerischen Bürgermeister ist zudem so ungeheuer breitgefächert, dass es realistisch nie lückenlos ausgefüllt werden kann.
Riemensbergers große Stärken waren Bodenständigkeit und Pragmatismus, blinde Flecken seiner Ära waren Inspiration und Esprit. Er hat Eching 18 Jahre bewirtschaftet. Nicht mehr - aber auch nicht weniger.
 
(hierzu ist ein Lesermail eingegangen)

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